"Erbse" Bruckneudorf
Neues Ortszentrum statt Konservenfabriksbrache
Warum das an der burgenländisch-niederösterreichischen Grenze liegende Bruckneudorf bis vor zwei Jahren weder ein richtiges „Ortszentrum“ noch eine eigene Volksschule hatte, liegt in der – relativ kurzen – Geschichte der
Gemeinde begründet. In der vom Bundesdenkmalamt (BDA) veröffentlichten Broschüre „wiederhergestellt, Ausgabe 89“ steht zu lesen, dass Bruck-Ujfalu, zu deutsch Bruck-Neudorf, erst 1867 als Vorstadt von Bruck an der Leitha
gegründet wurde. Doch bereits rund 30 Jahre später, 1898, wurde das zu dieser Zeit auf ungarischem Gebiet liegende Bruck-Ujfalu zur eigenständigen Gemeinde ... In die Volksschule freilich gingen die kleinen Bruckneudorferinnen und Bruckneudorfer hingegen noch gut 120 Jahre lang weiter nach Bruck an der Leitha. Bis 2017 die Idee geboren wurde, auf dem Gebiet der ehemaligen, seit langer Zeit großteils brachliegenden k.u.k. Erbsenschälfabrik ein neues Ortszentrum samt Volksschule zu bauen.
Die historische „Erbse“
Man schrieb das Jahr 1896, als am 16. April auf Basis eines Erlasses des k.u.k. Reichs-Kriegs-Ministeriums mit den Planungen für die Errichtung einer Konservenfabrik begonnen wurde. In „wiederhergestellt“ des BDA sind dazu folgende Informationen angeführt: „Die Anlage wurde unter der Leitung des Militär-Bauingenieurs Ignaz Ströher vom Wiener Stadtbaumeister Rudolf Breuer (1857–1936) errichtet – letzterer baute 1904 bis 1906 auch die ikonische Wiener Postsparkasse nach Plänen von Otto Wagner. Ab März 1897 wurden in der k.u.k. Militär Conservenfabrik Carl Littmann & Comp. ... von 150 Arbeiterinnen und Arbeitern Fleisch und Gemüse zu Konserven verarbeitet. 1899 wurde der Betrieb für die Aufarbeitung der Hülsenfrüchte um eine Erbsenschälerei ergänzt.“ – voilà.
Nach wechselhaften Nutzungen in den Jahrzehnten nach dem 1. Weltkrieg und in der Folge langem Leerstand, nahm sich ab 2003 die Kulturszene der verfallenden Gebäude an. Die „erbse“, wie sie von den Kreativen zu dieser Zeit genannt wurde, erlebte einen zweiten Frühling – und wurde vom BDA unter Schutz gestellt.
Ein komplexes Schutzgut
Geschützt ist somit ein L-förmiges Gebäudeensemble, bestehend aus:
• einem entlang der Gärtnergasse errichteten, zwei- bis dreigeschoßigen Objekt mit Walmdach und flach geneigtem
Satteldach;
• einem hofseitig gelegenen, eingeschoßigen Kesselhaus mit Schornstein und Wasserturm sowie
• einem an der südwestlichen Schmalseite situierten, eingeschoßigen Wintergartenbau mit großformatigen
Fensteröffnungen.
• Die Fassaden sind im Stil des Späthistorismus gegliedert, weisen aber auch Züge der „ungarischen
Jahrhundertwendearchitektur“ auf.
• Die innere Tragkonstruktion besteht aus Eisen- und Holzstützen sowie hölzernen Decken.
• Im südwestlichen Gebäudeteil wurde einst gewohnt. Hier weist der Bestand eine Massivstiege samt Eisengeländer
mit Holzhandlauf auf.
• Hofseitig gibt es einen rezenten Zugangsbereich mit behindertengerechter Rampe.
• Innen finden sich ein ehemaliger Trockenofen und im Dachgeschoß Maschinen der ehemaligen Erbsenverarbeitung.
Als erstes äußeres Zeichen der Unterschutzstellung erfolgte mit finanzieller Unterstützung durch das BDA die dringend notwendige Sanierung des zu diesem Zeitpunkt in desolatem Zustand befindlichen Dachs.
OSG übernimmt und baut
Wie bereits erwähnt, ergriff die Gemeinde Bruckneudorf mit Bürgermeister Gerhard Dreiszker als Mastermind 2017 die Initiative zur Neugestaltung des in Summe mehr als 4 Hektar großen, zentral gelegenen Areals inklusive Sanierung bzw. Umbau der „Erbse“. Mit der Oberwarter Siedlungsgenossenschaft (OSG), zu diesem Zeitpunkt in Bruckneudorf seit mehr als vier Jahrzehnten im Bereich des Wohnbaus etabliert, fand sich ein adäquater Partner und Käufer der gesamten Liegenschaft samt darauf befindlicher Gebäude. Dazu zählen neben der früheren Fabrik auch diverse Lagerhallen und zwei rund 62 m hohe Silotürme etc. Als Bauherr lässt die OSG die Pläne aus dem Architekturbüro PUMAR – Pesendorfer I Machalek I Dolmanits Schritt für Schritt Realität werden.
Schritt 1 galt dem Umbau der ehemaligen Konservenfabrik zur Volksschule mit zwölf Klassen, einem Werk- und einem Kreativraum sowie einem Mehrzwecksaal (Turnsaal) und einem „Wirtshaus“. Nach insgesamt rund dreijähriger Bauzeit fand auch die Dependance der Musikschule Neusiedl am See in diesem Ensemble einen bestens geeigneten Standort vor. Doch nicht der Bildung allein wird hier gefrönt, es steht nun auch ein Veranstaltungsbereich mit Festsaal für vielfältige Zwecke zur Verfügung.
Äußere und innere Werte
Nach außen hin erstrahlt das Gebäude dank einer umfassenden und möglichst originalgetreuen Fassadensanierung in neuem Glanz. Architekt Johannes Pesendorfer weiß dazu zu berichten: „Hinsichtlich der bestehenden (Sicht-)Ziegelfassade war ein Vollwärmeschutz optisch nicht vertretbar. Durch die Trockenlegung des Mauerwerks, den Einbau neuer Holzfenster, gute Isolierung der Boden- und Deckenkonstruktion sowie die Installation von Wand- und Fußbodenheizungen konnte die energetische Situation optimiert und wesentlich verbessert werden.“
Hervorzuheben ist hier der kompetente Einsatz erstklassiger Sanierungsprodukte der Baumit GmbH, nämlich Baumit SpeziKalk, Baumit SumpfKalk und Baumit NHL 3,5. Aus dem niederösterreichischen Baustoffunternehmen heißt es zum Projekt treffend: „Durch die nachhaltige Sanierung wurde die Geschichte des Gebäudes auf frische und freundliche Weise in eine lesbare Gegenwart überführt.“
Als kongenialer Verarbeiter der Baumit-Spezialprodukte trat auch hier die Firma Unideko GmbH aus Hartberg in der Steiermark in Erscheinung.
Im Inneren der neuen Bruckneudorfer Volksschule dominiert auf den ersten Blick der Baustoff Holz. Mit viel Fingerspitzengefühl wurde nämlich die alte Holzstruktur der Erbsenschälfabrik erhalten. Dies verleiht dem gesamten Gebäude eine unvergleichliche Wohlfühlatmosphäre. Pesendorfer dazu: „Kinder, die hier unterrichtet werden, wachsen in einer historischen Umgebung, aber gleichzeitig in modernen Räumen auf.“ Und weiter: „Wichtig war uns als Architekten der behutsame Umgang mit der Geschichte des Gebäudes bei gleichzeitiger Integration moderner Schulkonzepte. Helle, hohe Räume, Barrierefreiheit, großzügige Außenanlagen (Schulhof, Garten und Sportanlagen), Veranstaltungssaal, Turnsaal, Nachmittagsbetreuung – all diese Funktionen sind in dem historischen Gebäude direkt am neuen Hauptplatz in einer autofreien Umgebung untergebracht.“
Apropos Holzstruktur: „Gestalterisch“, so Arch. Pesendorfer, „ist es uns mithilfe eines Brandschutzplaners gelungen, die bestehende innere Holzkonstruktion sichtbar zu belassen. Da Pfeiler und Böden für schwere Nutzlasten ausgelegt waren, konnte der Bestand auch statisch übernommen werden. So werden die Kinder unter historischen Holzbalken unterrichtet und auch im Festsaal konnten die bauzeitlichen Stahlsäulen gut sichtbar erhalten bleiben.“
Zur o. a. Wohlfühlatmosphäre tragen ganz wesentlich auch die richtigen Lichtverhältnisse bei. Pesendorfer dazu: „Da die gesetzlich vorgeschriebene Belichtung in Teilbereichen ohne zusätzliche Maßnahmen nicht erreichbar war, wurden Lisenen in die Fassade geschnitten und verglast, die Wände der Klassenzimmer zu vorgelagerten Lernzonen mit Oberlichtbändern versehen und Lichtkuppeln in die Dachkonstruktion eingefügt.“ Ergänzt wird bei Bedarf mit künstlichem Licht. Die in der Volksschule Bruckneudorf montierten Lampen und Leuchten bringen für die Schülerinnen und Schülern atmosphärische, aber auch – mit einer entsprechenden Studie unterlegte – pädagogische Vorteile mit sich, z. B. eine verbesserte Konzentrationsfähigkeit und eine verringerte Fehleranfälligkeit etc.
Und weil wir gerade bei einem technischen Thema angelangt sind: Für die TGA-Planung zeichnet das ZT-Büro Woschitz Engineering mit Standorten in Wien und im Burgenland verantwortlich.
Bemerkenswert und großartig ist, dass für dieses neu enstehende Gemeindezentrum keine neuen Flächen versiegelt werden, ganz im Gegenteil: Für den Volksschulbau mussten vier Bäume gefällt werden, während rund um den Zen-trumsplatz gut 60 Bäume zusätzlich gepflanzt wurden. Alle am Projekt Beteiligten freuen sich zurecht über den Gewinn des ERDREICH-Preises für aktive Bodenschutzmaßnahmen.
Die nächsten Schritte
Mit der „Erbse“ konnte Teil 1 des Gesamtprojekts erfolgreich abgeschlossen werden. Die OSG mit Obmann Dr. Alfred Kollar führt hier jedoch noch Großes im Schilde. Es wurden bereits Reihenhäuser gebaut, Wohnraum für
unterschiedlichste Bedürfnisse wird noch folgen. Highlight – im wahrsten Sinn des Wortes – soll das Projekt
„Si-LOFTS“ werden. Es sieht die Errichtung von rund 70 Wohnungen in den beiden ehemaligen Getreidesilos sowie einer öffentlich zugänglichen Skybar auf einem der beiden Silodächer vor. Insgesamt entstehen rund um den neuen Bruckneudorfer Zentrumsplatz 200 Wohnungen, Handels-, Gastro- und Gewerbeflächen sowie Büros.
Fotos: © Kurt Kuball für Architekturbüro PUMAR / OSG / Baumit / dieLandschaftsplaner.at / Gemeinde Bruckneudorf
Projektpartner "Erbse" Bruckneudorf
Bauherr: OSG Oberwarter Siedlungsgenossenschaft
TGA-Planung: Woschitz Group
Baustoffe: baumit.at